Stacheldraht im Internet

 

In der NZZ Nr. 267 vom 16. November 2013 erklärt Eric Gujer, warum eine Abschottung einzelner Länder oder Europas als Reaktion auf die NSA-Spionage keine Lösung bringen kann.  Die Snowden-Enthüllungen haben sowohl die amerikanischen Geheimdienste als auch die zur Kooperation gezwungenen dominanten amerikanischen Internet-Firmen Microsoft, Google, Facebook, Yahoo und LinkedIn unter Druck gesetzt. Die amerikanischen Geheimdienste verteidigen ihre Datensammlungs- und Veröffentlichungspraxis im Interesse der Sicherheit der Gesellschaft. Die genannten Internet-Firmen fürchten Einschränkungen in ihren Geschäftsentwicklungen.

 

An den kürzlichen Hearings des US Senats zum vorgeschlagenen "Surveillance Transparency Act 2013" verlangte Google, dass die Überwachungsprogramme der Regierung eng gefasste, genaue Regeln befolgen müssten. Richard Salgado, Google's Direktor für Gesetzeseinhaltung und Datenschutz befürchtet, dass nationale Abschottungen, wie wir sie aus China kennen, wie sie Brasilien anstrebt und Europa diskutiert, zur Einstellung von Informationsdiensten und zu einem "Splinternet", einer Zersplitterung des Internets, führen könnte.    

 

Google hat mit seiner Vision die Informationen der Welt zu organisieren und für alle zu jeder Zeit zugänglich und nützlich zu machen, unsere Informationsgesellschaft nachhaltig geprägt. Der Erfolg von Google ist neben der konsequenten Nutzung des Information Engineering aber eben so sehr das Resultat grosser Investitionen in das Verstehen von Linguistik und Semantik unserer Sprachen und in die Verbesserung der Zugriffsgeschwindigkeit und Präsentation der gesuchten Information. Google ist zunehmend in der Lage nicht nur die Fundstellen der gesuchten Information, sondern direkt das Resultat einer Frage zu präsentieren.

 

Obschon das Wissen at your fingertips noch lange kein Garant für die Verbesserung der Bildung darstellt, so ist der Nutzen dieser Google-Dienstleistungen doch allgegenwärtig und sollte nicht durch nationale Abschottung gefährdet werden. Für die europäischen Länder stellt sich indessen die Frage, was sie der Dominanz der amerikanischen Informatikunternehmen entgegenstellen können und wie die Unternehmen und Bürger ihre Daten vor dem Zugriff der Geheimdienste und der Internet-Firmen schützen können.

 

Dem Google-Ansatz, die Informationen auf dieser Welt zentral zu erschliessen, könnten die Europäer eine dezentrale Informationserschliessung mit eigenen Werte- und Reputationssystemen entgegenstellen. Solche Initiativen, wie sie von ETH-Professor Helbing angeregt werden, verlangen aber zur Umsetzung konkreter Projekte erhebliche Mittel, Wagniskapital, welches leider in unserem Land bisher nur spärlich zur Verfügung steht.   

 

Die digitale Revolution löst auch eine Revolution der Bildungssysteme aus. Die Schule muss neu gedacht werden. Jeder Bürger wird lernen müssen, wie er seine Privatsphäre auch in der Internet-Gesellschaft schützen kann. Und jedes Unternehmen wird investieren müssen, um die geheimen und vertraulichen Unternehmensdaten mit vorhandenen technischen und organisatorischen Mitteln permanent schützen zu können. Es gibt keinen digitalen Stacheldraht zur Abschottung einzelner Staaten.

 

Jürg Dangel, Küsnacht